Preisträgerin Shilpa Gupta mit erster Museumsausstellung in Deutschland

18.06.2025

Shilpa Gupta (*1976, Mumbai) erhält den Possehl-Preis für Internationale Kunst 2025. Anlässlich der mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung zeigt die Kunsthalle St. Annen die erste umfassende Museumsausstellung der Künstlerin in Deutschland. we last met in the mirror versammelt rund 25 Arbeiten aus zwei Jahrzehnten.

SHILPA GUPTA
we last met in the mirror 
27.09.2025 – 01.03.2026
Kunsthalle St. Annen, Lübeck 
www.kunsthalle-st-annen.de | www.possehl-stiftung.de

Preisverleihung und Eröffnung 
27. September 2025 in Anwesenheit der Künstlerin


we last met in the mirror untersucht die Vielschichtigkeit von Erkenntnis und Bedeutungsbildung und hinterfragt die Grenzen eindeutiger Definitionen in einem sich ständig verändernden, fluiden Raum, in dem wir leben“, erläutert Shilpa Gupta. Der Ausstellungstitel ist einem zentralen Werk der Künstlerin entnommen, das mit Textfragmenten spielt, die sich zu immer neuen Botschaften zusammensetzen. 

Gupta beschäftigt sich in ihrer Kunst mit Themen wie Zensur, Staatsgewalt, gesellschaftlichen und politischen Machtstrukturen sowie kollektiver Verantwortung. Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Reflexion ist häufig ihr Lebensmittelpunkt Mumbai. In der Megacity verdichten sich soziale Ungleichheiten, postkoloniale Brüche und globale Wirtschaftsdynamiken.

Die Künstlerin verknüpft lokale Beobachtungen mit universellen Fragestellungen und verbindet so Menschen über kulturelle und geografische Grenzen hinweg. In der Ausstellung in Lübeck sind Besuchende eingeladen, eigene Erfahrungen im Spiegel globaler Entwicklungen zu reflektieren. Zu sehen sind Installationen, Skulpturen, Sound- und Videoarbeiten, Zeichnungen sowie textile Werke.

„Mit der Verleihung des Possehl-Preises für Internationale Kunst würdigen wir Shilpa Gupta für ihre sensiblen, oft gesellschaftspolitischen Arbeiten und die große Vielfalt an Ausdrucksformen in ihrem Gesamtwerk. Ihr Schaffen ist von globaler Bedeutung – und wird jetzt in der Hansestadt sichtbar und erlebbar. So schlagen wir von Lübeck aus Brücken in die Welt“, sagt Prof. Dr. Wolfgang Sandberger, Vorsitzender der Possehl-Stiftung.

Grenzerfahrungen 

Grenzen – geografische, ideologische, soziale – ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. In der Neoninstallation 2652 zählt Gupta ihre Schritte zwischen der Klagemauer, der Al-Aqsa-Moschee und der Grabeskirche in Jerusalem. Für die Grenzlinie zwischen Indien und Pakistan steht die zu einem Ball gewickelte Fadenskulptur 1:14.9 (2011/12) – das flexible Material greift die Zerklüftungen der Landschaft auf und steht im Kontrast zur starren Grenzziehung offizieller Karten. Auch im Werk Stars on Flags of the World (2012/2023) thematisiert Gupta territoriale Ordnungen: Mehrere hundert Wachssterne, den Flaggen anerkannter und nicht anerkannter Staaten entnommen, liegen auf dem Boden der Ausstellung. Besuchende sind eingeladen, einzelne Sterne mitzunehmen – so wandelt sich das Werk kontinuierlich und festgelegte Zugehörigkeiten lösen sich auf.

Poesie und die Macht der Sprache 

Shilpa Gupta verleiht in ihrer Kunst jenen eine Stimme, die marginalisiert oder unterdrückt werden. Zensur begegnet sie mit der Kraft des Wortes – gesprochen, geschrieben, gesungen. In Spoken Poem in a Bottle (2018) versammelt sie Texte verbotener Schriftsteller:innen aus unterschiedlichen Jahrhunderten. Auch die Arbeit Untitled (2018–2023) widmet sich dem Thema: Die Zeichnungen zeigen verfolgte Autor:innen als Silhouetten und Fehlstellen zwischen Figuren der Macht. Ein weiterer Raum der Kunsthalle wird von Liedern wie „We Shall Overcome“ oder „Bella Ciao“ erfüllt, die aus umgestalteten Mikrofonen erklingen: In der raumgreifenden Klanginstallation Listening Air (2019–2024) versammelt Gupta Protestlieder aus verschiedenen Regionen und Epochen zu einem akustischen Archiv des Aufbegehrens und der Solidarität.

Reflexionen über Vielfalt und Zugehörigkeit 

In einem von patriarchalen Strukturen und Gewalt gegen Frauen geprägten Umfeld verleiht Shilpa Gupta jungen Mädchen eine Stimme. In der Soundarbeit I have many dreams (2007–2008) erzählen diese von ihren Zukunftsträumen und zeigen, wie universell die Hoffnungen von Heranwachsenden sind. Ebenso setzt die großformatige Lichtinstallation I live under your sky too (2004) ein Zeichen für Pluralität – der Satz leuchtet in Mumbais meistgesprochenen Sprachen Hindi, Urdu und Englisch und macht das Nebeneinander von Sprachen und Identitäten erfahrbar.  

„Shilpa Gupta gelingt es, in ihrer Kunst Fragen globaler Relevanz in eine universelle Sprache zu übersetzen“, sagt Noura Dirani, Direktorin der Kunsthalle. „Ihre Werke eröffnen Räume für Austausch und verbinden Menschen an unterschiedlichen Orten, um die eigene Geschichte im Dialog zu betrachten. Besonders freuen wir uns auf ein neues Werk, das die Künstlerin eigens für Lübeck entwickelt und die Menschen vor Ort einbindet.“

Begleitet wird die Ausstellung von einem vielfältigen Rahmenprogramm, das verschiedene Communities der Hansestadt einbezieht. Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit Beiträgen u.a. von Monica Juneja, Sabih Ahmed und Sunil Khilnani. 

Die Künstlerin Shilpa Gupta

Shilpa Gupta gilt als eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen Kunst Südasiens. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Mumbai, Indien, wo sie von 1992 bis 1997 Bildhauerei an der Sir J. J. School of Fine Arts studierte. Ihre Arbeiten wurden u.a. auf der Biennale in Venedig, auf der documenta in Kassel, im Centre Pompidou in Paris, im Museum of Modern Art in New York sowie 
auf der Triennale in Yokohama gezeigt. Inspiriert von Konzeptkunst und Alltagsästhetik arbeitet sie medienübergreifend und immer nah an der gesellschaftlichen Realität. 

Possehl-Preis für Internationale Kunst 

Mit dem Possehl-Preis für Internationale Kunst würdigt die Possehl-Stiftung wegweisende Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Gegenwartskunst für ihr Lebenswerk, eine herausragende Arbeit oder Werkgruppe. Die Auszeichnung ist mit einem Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro dotiert und mit einer Ausstellung in Lübeck verbunden. Die Konzeption und Realisierung der Ausstellung und die Erstellung des Ausstellungskataloges erfolgen 2025 durch die Kunsthalle St. Annen der LÜBECKER MUSEEN. Der Preis wird innerhalb der Sparten Skulptur, Installation, Neue Medien sowie Performance und Aktionskunst vergeben. Intermediale Bezüge und unterschiedliche künstlerische Ausdrucksformen im Gesamtwerk werden besonders berücksichtigt. Die Jury wählt die Preisträger:in aus Vorschlägen eines international besetzten Expert:innengremiums aus. Der Possehl-Preis für Internationale Kunst wird alle 
drei Jahre vergeben, bisherige Preisträgerin:innen sind Doris Salcedo (2019) und Matt Mullican (2022). Neben dem Preis für Internationale Kunst vergibt die Possehl-Stiftung mit dem Possehl-Preis für Lübecker Kunst seit 2018 auch eine Auszeichnung an lokale Künstlerinnen und Künstler.

Possehl-Stiftung

Die Lübecker Possehl-Stiftung fördert seit 1919 die Erhaltung der Lübecker Altstadt in ihrer architektonischen Vielfalt, gemeinnützige Einrichtungen, Kunst und Wissenschaft, die Jugend, und sie unterstützt Menschen in sozialer Not. 2003 hat die Possehl-Stiftung mit der Förderung des Neubaus der Kunsthalle St. Annen einen neuen Raum für moderne Kunst im Zentrum der Lübecker Altstadt geschaffen und damit die Hansestadt auch als lebendigen Standort für internationale zeitgenössische Kunst gestärkt. Darüber hinaus ist sie Gesellschafterin des Europäischen Hansemuseums Lübeck und des KOLK17 Figurentheater & Museum. Mit den Possehl-Preisen für Musik, Kunst, Ingenieurwesen und Architektur prämiert die Stiftung jährlich herausragende Leistungen. Die Stiftung ist alleinige Gesellschafterin der größten Mittelstandsbeteiligung Deutschlands, der weltweit agierenden L. Possehl & Co. GmbH.

Kunsthalle St. Annen 

Die Kunsthalle St. Annen ist Teil des Verbundes der LÜBECKER MUSEEN und ein zentraler Ort für moderne und zeitgenössische Kunst in Norddeutschland und im Ostseeraum. Mit ihrer bedeutenden Sammlung europäischer Nachkriegskunst versteht sich die Kunsthalle als Ort des lebendigen Dialogs und fördert eine offene Gesellschaft unter Einbeziehung von Perspektiven jenseits eurozentrischer Erzählungen.